Der Unterschied zwischen kompliziert und komplex. Gibt es denn einen?

  • Wahlweise hört man, in der heutigen Zeit werde alles immer komplexer oder komplizierter. Ich habe mir dabei schon vor einiger Zeit die Frage gestellt: Gibt es zwischen den beiden Begriffen überhaupt einen Unterschied? Lange Zeit bedeuteten die beiden Termini auch für mich in erster Linie das Gegenteil von Einfachheit.

Hätte mich zum damaligen Zeitpunkt jemand darauf hingewiesen, dass es einen Unterschied gibt, ich hätte ihn wohl für einen Haarspalter gehalten. Heute weiß ich: Der Unterschied ist nicht nur verbal von Bedeutung. Welcher der beiden Sachverhalte zutreffend ist, bestimmt auch den Umgang mit den jeweiligen Sachverhalten maßgeblich – zumindest wenn man damit Erfolg haben will.

Wann ist ein System kompliziert?

Damit man ein System (einen Sachverhalt, einen Prozess, etc.) als kompliziert bezeichnen kann, braucht es die folgenden Voraussetzungen:

  • Das System wird von mindestens zwei oder mehr bekannten Faktoren beeinflusst
  • Diese Faktoren sind bekannt und beherrschbar
  • Die Faktoren stehen nicht in Wechselwirkung zueinander

Die folgende Grafik soll das Prinzip verdeutlichen: Du hast fünf bekannte Einflussfaktoren. Jeder Faktor beeinflusst direkt das System (Orangerote Pfeile). Das macht es zu einem komplizierten System. Es gibt keine Pfeile zwischen den Faktoren, also auch keine Wechselwirkungen.

kompliziertes System

Erkennungsmerkmale und Beispiele für komplizierte Systeme

Wenn Du herausfinden willst, ob ein System kompliziert ist, dann stelle Dir einfach die Frage, ob Du über dieses System ein Handbuch schreiben könntest. Ist klar definiert, was zu tun ist und welche Auswirkungen das hat? Ganz so, als würdest Du ein Benutzerhandbuch für eine Küchenmaschine schreiben wollen.

Wenn das möglich ist, handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um einen komplizierten Sachverhalt.

Viele technischen Anwendungen sind eher kompliziert anstatt komplex. Komplex wird es meist dann, wenn Menschen oder Software mit ins Spiel kommen. Doch, dazu mehr weiter unten.

Mögliche Beispiele sind Autos, ein Stabmixer oder der Prozess des Brotbackens.

Strategien für den Umgang mit komplizierten Sachverhalten

Komplizierten Fragestellungen kann man sich sehr gut mit einer auf Zahlen basierten Herangehensweise annähern. Wenn bekannt ist, in welcher Art und Weise ein Faktor einen Prozess ohne Wechselwirkung beeinflusst, ist auch klar, dass sich Maßnahmen auch nur hier auswirken werden. Und dann lässt sich messen, wie groß der Erfolg einer Maßnahme war.

Ein Beispiel: Wenn Du Dein Auto tunen willst, damit es mehr Leistung hat, dann weißt Du, dass es keine Auswirkungen haben wird, wenn Du stärkere Scheinwerfer einbaust. Du wirst größeren Erfolg haben, wenn Du zum Beispiel am Motor oder am Auspuff etwas änderst.

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Komplexität bedeutet Unberechenbarkeit

Bei der Komplexität verhält es sich anders. Sie lässt sich durch folgende Merkmale charakterisieren:

  • Das System wird von mindestens zwei oder mehreren Faktoren beeinflusst. Die genaue Anzahl der Faktoren ist nicht bekannt
  • Es ist nicht genau bekannt, wie stark und wann sich die einzelnen Faktoren auf das System auswirken
  • Die Faktoren können untereinander in Wechselwirkung stehen – ob sie das tun und wie stark, ist nicht genau bekannt 

Auch für diese Zusammenhänge hier eine Grafik zur Verdeutlichung: Du hast wieder Faktoren, die das System beeinflussen. Anstelle der fünf nummerierten Faktoren sind hier zwei mit Fragezeichen abgebildet, die nicht bekannt sind.

Wiederum orangerot sind die Wirkungspfeile dargestellt. Hier wirken die Pfeile nicht nur auf das System, sondern (eventuell) auch untereinander. Die kräftigen Pfeile sind definitive und bekannte Wechselwirkungen, die hell-orange dargestellten Pfeile sind nicht bekannt und/oder nicht vorauszusehen.

komplexes System

Besonders gut sieht man hier: Obwohl die Mehrzahl der Faktoren bekannt sind (nämlich 3 von 5) ist die Mehrzahl der Wirkungen zwischen den Faktoren und auf das System unbekannt oder nicht bewertbar (nämlich 6 von 10 Pfeilen).

Dabei habe ich in der Grafik vernachlässigt, dass nicht nur die in der Grafik benachbarten Faktoren aufeinander wirken, sondern z.B. durchaus Faktor 1 und Faktor 3 ebenfalls eine Wechselwirkung haben. Nur wäre die Grafik dann sehr unübersichtlich geworden.

Erkennungsmerkmale und Beispiele für komplexe Systeme

Analog zum Handbuch oben habe ich auch hier ein Erkennungsmerkmal dafür, wenn es sich um ein komplexes System handelt: Immer dann, wenn Sie statt einem Handbuch eher einen Ratgeber schreiben könnten, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es sich um einen komplexen Prozess handelt.

Mit Ratgeber meine ich: Probiere für Sache X die Strategie Y aus. Wenn das nicht hilft, probiere es mit Strategie Z und so weiter.
Ein paar Beispiele für komplexe Systeme: der menschliche Körper, das Wetter, der Straßenverkehr oder Finanzkrisen.

Hier gibt es in jedem System Akteure, die wir entweder nicht kennen, deren Einfluss wir nicht einschätzen können oder sogar beides.

Komplexität im Smartphone

Ein allgegenwärtiges Beispiel für komplexe Prozesse sind Smartphones und die darauf installierten Apps. In den jungen Jahren der Softwareentwicklung wurden Programme autonom geschrieben. Es gab keine oder wenig Interaktion oder Schnittstellen mit anderen Programmen. Das machte das System beherrschbar – also höchstens kompliziert.
 
Mit dem zunehmenden Wunsch, Softwareanwendungen zu vernetzen, stieg die Kompliziertheit an. Bei der Programmierung mussten Wechselwirkungen zwischen den Programmen bedacht werden. Es war jedoch immer noch bekannt, welche Software mit einer anderen interagiert und in welcher Form.
 
Wie viele Apps hast Du auf Deinem Smartphone? Du kannst inzwischen aus Tausenden von Applikationen wählen und sie sind in Sekundenschnelle installiert. Dabei ist es inzwischen unmöglich, dass Programmierer einer App wissen, welche Programme jeder Nutzer auf dem mobilen Gerät installiert hat und benutzt. Es ist nicht vorhersagbar, zu welchen Fehlern es bei einer parallelen Verwendung der Programme kommen kann. Die Software-Welt hat sich von einem komplizierten, zu einem komplexen System gewandelt.
 

Strategien für den Umgang mit komplexen Sachverhalten

Der erste Schritt zu einem erfolgreicheren Umgang mit komplexen Sachverhalten ist die Erkenntnis, dass wir sie nicht kontrollieren können. In gewisser Hinsicht sind sie unberechenbar. Das soll jetzt nicht heißen, dass wir sie nicht etwas beherrschbarer gestalten können. Dennoch solltest Du erkennen, dass Du solche Systeme niemals komplett durchdringen und kontrollieren kannst.

Eine weitere Strategie ist, dass Du Dich nicht zu sehr auf Zahlen verlassen solltest. Lasse lieber Deinen gesunden Menschenverstand arbeiten und versuche, die Komplexität eines Systems dadurch zu reduzieren, indem Du Faktoren und Wirkungen, die möglicherweise nur einen sehr geringen Einfluss haben, temporär aus Deiner Betrachtung ausklammern.

Du kannst dann mit den verbleibenden Faktoren arbeiten, Maßnahmen zur Verbesserung einer Situation definieren und die Resultate beobachten.

Eine weitere Strategie ist die Veränderung Deines Planungshorizonts. Sobald es sich um komplexe Systeme handelt, ist es wenig sinnvoll, langfristige Planzahlen aufzustellen. Reduziere in solchen Fällen den Planungshorizont und steuere häufigere Planungsrunden ein.

Gehen wir noch einmal zum Beispiel des Wetters: Wir kennen nur relativ grobe Zusammenhänge und können daher allenfalls kurzfristig zutreffende Prognosen zur Witterung in einer definierten Region machen. Heute eine Aussage darüber zu treffen, ob wir im nächsten Jahr weiße Weihnachten erleben werden, ist nicht machbar.

Schon die Voraussage, wie hoch das Regenrisiko an einem Tag ist, beruht auf aktuellen Messungen und statistischen Angaben darüber, welche Witterung an Tagen mit ähnlichen Messwerten geherrscht hat. Mit Beherrschung hat das wenig zu tun.

Der natürliche Feind von Kompliziertheit und Komplexität: Einfachheit

Das Gegenteil dessen, was wir als kompliziert und / oder komplex wahrnehmen, ist die Einfachheit. Mit dem Buchautor Dr. Michael Hartschen habe ich in Podcast-Folge 004 über genau dieses Thema ausführlich gesprochen. Höre da gerne mal rein, es lohnt sich!

Im Qualitätsmanagement tun wir besonders gut daran, den Unterschied zu erkennen und zu möglichst einfachen Lösungen zu kommen. Das ist so, weil ein immer größerer Teil der Arbeit im QM daraus besteht, Komplexität zu reduzieren, damit wir überhaupt Lösungen erarbeiten können.

Fazit – der Unterschied zwischen „kompliziert“ und „komplex“ ist wichtig!

Nach den obigen Ausführungen ist Dir vermutlich klar, dass ein Sachverhalt entweder kompliziert oder komplex sein kann. Aber niemals beides.

Damit wird mit Systemen richtig umgehen, ist die Unterscheidung zwischen komplexen und komplizierten Sachverhalten nicht zu vernachlässigen. Je nachdem, welcher der beiden Begriffe gerade anwendbar ist, werden wir mit den Strategien für den jeweils anderen Terminus nur wenig oder gar keinen Erfolg haben.

Wenn Du möchtest, beobachte in der nächsten Zeit doch einmal, ob Du in Deinem Umfeld die Worte „Komplexität“, „komplex“, „kompliziert“ oder „Kompliziertheit“ hörst oder sogar selbst verwendest. Mache Dir dann bitte Gedanken darüber, ob der Begriff zur jeweiligen Situation passt, auf die er angewendet wird.

Ich bin gespannt, ob Dir dabei etwas auffällt. Schicke mir dann gerne eine E-Mail.

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